Interdisziplinäre Schmerzkonferenz

Interdisziplinär? Multimodal?… oder reicht eine Teambesprechung?

 

 

Zahlreiche schmerzmedizinische Einrichtungen, Krankenhausabteilungen und Schmerzzentren beschreiben ihre Tätigkeit gern als „multimodal“. Der lateinische Begriff weist auf die Vielfältigkeit von Verfahren hin. Gemeint war ursprünglich die Vielfältigkeit von Kommunikationsmethoden aus textlichen, auditiven, sprachlichen, räumlichen und visuellen Ressourcen mit dem Zweck, Nachrichten zu erstellen. In den Sprachwissenschaften bedeutet er die parallele Nutzung unterschiedlicher Sinneskanäle zur Übermittlung von Informationen.

In Unternehmen wird Multimodalität zur internen und externen Effizienzsteigerung genutzt. Die Psychologie meint eine Mehrebenen-Diagnostik, um die Mehrdimensionalität eines Phänomens und seine psychologischen Merkmale abzubilden. Die Erfassung biopsychosozialer Chronifizierungsverläufe unserer Schmerzpatienten setzt multimodale Kommunikations- und Interaktionsanwendungen voraus, auch und mehr und mehr in digitaler Form. Schmerzdiagnostik und Schmerzbehandlung setzen eine interdisziplinäre Wahrnehmung mindestens aus zwei, meist mehr Fachdisziplinen, davon eine psychiatrische (psychosomatische oder psychologische) Disziplin, als standardisiertes Verfahren ein. Zu einer multimodalen Schmerztherapie gehört die intensive Schulung und Information der Betroffenen auf der Basis eines biopsychosozialen Schmerzverständnisses, die körperliche Aktivierung, psychologische Verfahren (meist orientiert an verhaltenstherapeutischen Prinzipien), psychohygienische Maßnahmen als Einzel- oder Gruppentherapie, Stressbewältigung, Achtsamkeitstraining, neurologische und orthopädische Funktionsanalysen, ergotherapeutische Behandlungsanteile, medikamentöse und invasive Therapieformen.

Je nach Indikation stehen einzelne Behandlungswege gleichwertig nebeneinander oder werden nach individueller Indikation bevorzugt eingesetzt. Es handelt sich nicht um eine „Komplexbehandlung“ unterschiedlicher Disziplinen. Vielmehr braucht es von Anfang an ein gemeinsames Assessment, eine aktive Kommunikation der Beteiligten und eine gemeinsame Dokumentation in der Schmerzdiagnostik und im Verlauf. Eine multimodale schmerztherapeutische Behandlung ist der einzige und angemessene Weg zur Behandlung bzw. Vorbeugung einer Schmerzchronifizierung.

Diese ist häufig gekennzeichnet von vorherigen, oft erfolglosen oder wenig zufriedenstellenden Therapieversuchen bei enttäuschten Patienten, die zunehmend eine Änderung der Schmerzsymptomatik nach Intensität und Ort, die Zunahme von Schmerzstärke und Medikamentenverbrauch (auch Beigebrauch), sowie die Verschärfung psychosozialer Risikofaktoren berichten.

Die Betroffenen nehmen mehr und mehr unser Gesundheitssystem in Anspruch. Häufig liegen Komorbiditäten vor, insbesondere im Erlebensbereich.

Aufgrund dieser mehrdimensionalen Schmerzausweitung sind multimodale Verfahren in schmerzmedizinischen Indikationen einer rein pharmakologischen, einer rein somatischen oder rein psychotherapeutischen Behandlung, wie viele Studien gezeigt haben, überlegen. Multimodalität vereint standardisierte Empfehlungen mit hochindividueller Anwendung; sie ist nicht das Vorhalten verschiedener Fachdisziplinen und mehr als die Verbesserung der Kommunikation und aktiven Zusammenarbeit zwischen den Therapeuten. Die Qualität (Prozess, Ergebnis) einer Schmerzkonferenz ist, aufgrund des direkten Patioentenkontakts, nach meiner Meinung oberhalb einer sog. Teambesprechung, wie sie vielerorts als multimodal „verkauft“ wird, anzusiedeln. Aufgrund des direkten Patientenkontakts. Die Ziele multimodaler Arbeit gibt der Patient vor, nicht das Therapeutenteam; Schmerzbefreiung ist nicht immer das erste Ziel. Für die Zukunft sind einheitliche Vorgehensweisen zur Messung von Erfolgskriterien anzustreben. Relevant wären die Bereiche Schmerzstärke, Beeinträchtigung durch Schmerz, Depressivität und gesundheitsbezogene Lebensqualität. Können wir einen solchen ganzheitlichen Ansatz bei unseren Patienten realisieren? Wir müssen. Es gibt keine Alternative.

Eine Schmerzkonferenz ist eine beispielhafte Form, einem Patienten multimodal und konkret in Diagnostik und Therapie zu begegnen. Die Schmerzkonferenz ist eine fallbezogene interdisziplinäre Kooperation, die offen ist für alle interessierten Berufsgruppen um die Probleme des Schmerzpatienten herum: Ärzte aller Fachgruppen, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Pflegende u.v.a. Diese Fachgruppen begegnen sich auf Augenhöhe und sind gemeinsam bemüht, leitliniengerechte Standards zu berücksichtigen, um einen Patienten diagnostisch und therapeutisch individuell zu beraten oder zu informieren. Standards und individueller Anspruch sind nicht unvereinbar! Die Einführung regelmäßig durchgeführter Schmerzkonferenzen gehört zu den größten Verdiensten der DGS in der Versorgungslandschaft. Schmerzkonferenzen sind interaktiv, kreativ und auf das Wohl des betroffenen Patienten ausgerichtet. Sie sind deshalb keine Fortbildung, sondern eine Erfahrung und damit gemeinsamer Ausdruck des Wunsches nach Zusammenarbeit in multimodalen, interdisziplinären Vorgehensweisen.

Ihr

Dr. med. Johannes Horlemann
Präsident
Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)