Stellungnahme zur Kampagne der „Initiative Endlich e. V.“ – Irreführende Werbung fördert Cannabisverharmlosung

Mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (kurz: CanG) wurde in diesem Jahr der private Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen legalisiert und gleichzeitig die ärztliche Verordnung und Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken (Medizinalcannabis) vereinfacht. Die aktuell groß aufgelegte Kampagne der „Initiative Endlich e. V.“ weist Wege zum schnellen und unkomplizierten Bezug von Medizinalcannabis. Die Kampagne verstößt aus Sicht der DGPPN, der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) gegen das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Die Fachgesellschaften halten die Kampagne darüber hinaus für irreführend und gefährlich für die Gesundheit der Bevölkerung.

Nach dem Inkrafttreten des neuen CanG ist Cannabis aus dem privaten oder gemeinschaftlichen Eigenanbau in geringen Mengen legal. Mit Blick auf die psychische Gesundheit vor allem von jungen Menschen, braucht es aus Sicht der unterzeichnenden Fachgesellschaften umfängliche Maßnahmen, um befürchtete ungünstige Auswirkungen der Legalisierung zu vermeiden bzw. zu begrenzen. Die Umsetzung ist nun drängender denn je. 

Die aktuell laufende Kampagne der „Initiative Endlich e. V.“, bezieht sich formal auf den Bereich des Medizinalcannabis und stellt u. a. auf großen Plakaten im öffentlichen Raum und unter Beteiligung prominenter Personen Vorteile einer Anwendung von Medizinalcannabis (Medizinalhanf) vor. Die Darstellung hebt hervor, dass durch eine medizinische Verschreibung von Cannabisblüten (Medizinalhanf) vielen Patientinnen und Patienten mit Volksleiden wie chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen „endlich“ geholfen werden könne [1]. Diese Behauptung entspricht nicht dem Stand der Forschung. Es liegen zwar erste Hinweise auf die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen vor, die aber nicht ausreichen, um konkrete Behandlungsstrategien abzuleiten [2-5]. Keine der genannten Anwendungen im Bereich psychischer Störungen ist evidenzbasiert und leitliniengerecht. Eine etwas bessere, wenn auch nur moderate Evidenz zum Einsatz von Medizinalcannabis liegt lediglich für die Behandlung von chronischen Schmerzen und Spastik bei Multipler Sklerose vor. Die vorliegende Evidenz betrifft jedoch insbesondere THC-haltige Medikamente und deutlich weniger den Medizinalhanf. Es finden sich außerdem Hinweise auf unerwünschte psychische Nebenwirkungen [5-9].

Als medizinische Fachgesellschaften möchten die DGPPN, die DG-Sucht und die DGS die Notwendigkeit einer sorgfältigen Indikationsstellung sowie der leitliniengerechten Anwendung von Medizinalcannabis betonen. Die Ärzteschaft muss hier einer besonderen Verantwortung nachkommen. In die Entscheidung über eine Verschreibung ist einzubeziehen, dass die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung von Medizinalcannabis besteht. Patientinnen und Patienten, die cannabisbasierte Therapien nutzen, sollen vom Behandler regelmäßig betreut und über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen aufgeklärt werden. 

Die Kampagne schreibt sich auf die Fahnen, die medizinische Cannabisanwendung aus der angeblichen “Schmuddelecke” zu holen. Das ist irreführend. Medizinalcannabis hat weder, wie dargestellt, die behaupteten breiten Anwendungsgebiete, noch befand sich die begrenzte medizinische Anwendung von Cannabis in einer Schmuddelecke. Im Gegenteil: Seit 2017 ist es möglich, Medizinalhanf ohne Einschränkung auf eine Indikation zu verordnen [8]. Dies ist im Bereich der Pharmakotherapie einmalig. Insoweit vermischt die Kampagne den privaten und bisher illegalen Cannabiskonsum mit der medizinischen Anwendung von Cannabis. Diese Vermischung erfolgt u. E. bewusst und intendiert und wir sehen diese Kampagne
deshalb ausgesprochen kritisch. Darüber hinaus geht sie mit einer Überschätzung therapeutischer Effekte und einer Verharmlosung von einer, vor allem für junge Menschen, gefährlichen Substanz einher.

Vor diesem Hintergrund ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland ein Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt (§ 10 HWG). Hierzu zählen immer noch die medizinischen Cannabispräparationen und -blüten. Bezüglich des Cannabis für den Freizeitkonsum ist die Werbung komplett und ausnahmslos verboten (vgl. CanG Artikel 1 § 1, Abs. 14 und § 6). Auch wenn die „Initiative Endlich e. V. “ als Informations- und Antistigma-Kampagne auftritt, steht nach unserer Einschätzung tatsächlich der Absatz von Cannabis im Vordergrund.
Es werden verschiedene Telemedizin-Anbieter verlinkt, die den Bezug von medizinischem Cannabis auf (Privat-)Rezept ermöglichen. Durch die Kampagne wird eine breite Öffentlichkeit, also auch Freizeitkonsumenten (und nicht nur die Patientengruppe, die tatsächlich von Medizinalcannabis profitieren könnte) angesprochen, um diese auf einen bequemen Vertriebsweg für Cannabis aufmerksam zu machen. Aus Sicht der DGPPN sollte im vorliegenden Fall daher auch die Wettbewerbszentrale aktiv werden. 

Die Gefahr der Zunahme des Cannabiskonsums in der Bevölkerung durch einen aggressiven Vertrieb von Medizinalcannabis wird auch von Befürwortern der Legalisierung gesehen [10].
Die Marktentwicklung [11] zeigt einmal mehr, dass – wie von der DGPPN und anderen schon 3/4 mehrfach gefordert – die Forschung zu den Auswirkungen des Cannabisgesetzes vorangetrieben, umfassende Präventionsprogramme aufgesetzt sowie Einrichtungen der Suchtberatung und der Suchtbehandlung besser ausgestattet werden müssen.

 

Referenzen
[1] Initiative Endlich e.V. (2024). Der Weg zur Therapie – Fragebogen – Ergebnis. Zugriff am 05.08.2024 von endlich-cannabis.de/fragebogen/nein
[2] Black N, Stockings E, Campbell G, et al. Cannabinoids for the treatment of mental disorders and symptoms of mental disorders: a systematic review and meta-analysis [published correction appears in Lancet Psychiatry. 2020 Jan;7(1):e3. doi: 10.1016/S2215- 0366(19)30491-2]. Lancet Psychiatry. 2019;6(12):995-1010. doi:10.1016/S2215-
0366(19)30401-8
[3] Sarris J, Sinclair J, Karamacoska D, Davidson M, Firth J. Medicinal cannabis for psychiatric disorders: a clinically-focused systematic review. BMC Psychiatry. 2020;20(1):24. Published 2020 Jan 16. doi:10.1186/s12888-019-2409-8
[4] Müller-Vahl KR. Cannabinoids in the Treatment of Selected Mental Illnesses: Practical Approach and Overview of the Literature. Pharmacopsychiatry. 2024;57(3):104-114.
doi:10.1055/a-2256-0098
[5] Hoch E, Niemann D, von Keller R, et al. How effective and safe is medical cannabis as a treatment of mental disorders? A systematic review [published correction appears in Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2019 Dec;269(8):995. doi: 10.1007/s00406-019-00999-x]. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2019;269(1):87-105. doi:10.1007/s00406-019-00984-4
[6] Whiting PF, Wolff RF, Deshpande S, et al. Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA. 2015;313(24):2456-2473. doi:10.1001/jama.2015.6358
[7] Petzke F, Tölle T, Fitzcharles MA, Häuser W. Cannabis-Based Medicines and Medical Cannabis for Chronic Neuropathic Pain. CNS Drugs. 2022;36(1):31-44. doi:10.1007/s40263-021-00879-w
[8] Häuser W, Hoch E, Petzke F, et al. Medizinalcannabis und cannabisbasierte Arzneimittel: ein Appell an Ärzte, Journalisten, Krankenkassen und Politiker für einen verantwortungsvollen Umgang [Medicinal cannabis and cannabis-based medication: an appeal to physicians, journalists, health insurances, and politicians for their responsible handling]. Schmerz. 2019;33(5):466-470. doi:10.1007/s00482-019-00409-0
[9] Walitt B, Klose P, Fitzcharles MA, Phillips T, Häuser W. Cannabinoids for fibromyalgia. Cochrane Database Syst Rev. 2016;7(7):CD011694. Published 2016 Jul 18. doi:10.1002/14651858.CD011694.pub2
[10] Manthey J, Rehm J, Verthein U: Personal View: Germany’s cannabis act: a catalyst for European drug policy reform? Lancet Regional Health – Europe. 2024;42: 100929.
doi.org/10.1016/j.lanepe.2024.100929
[11] Medizinisches Cannabis – Deutschland. (n.d.). Zugriff am 05.08.2024 von de.statista.
com/outlook/hmo/cannabis/medizinisches-cannabis/deutschland

 

Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Lindenberg
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